Heiteres aus dem SV-Büro
Die Kunst des Pendelns: Eine heitere Geschichte aus dem Alltag eines Gerichtssachverständigen
Herr Dr. Karl Bruckner war ein erfahrener Gerichtssachverständiger. Seit über zwanzig Jahren pendelte er zwischen Gutachterterminen, Gerichtssälen und teils skurrilen Begegnungen mit Parteien und deren Vertretern. Seine Spezialgebiete – Buchbinderei und Druckereiwesen – mochten auf den ersten Blick trocken wirken, doch Karl wusste, dass die Realität manchmal witziger war als jede Komödie im Fernsehen.
Eines Montags wurde Karl zu einem Gerichtstermin in der Bezirksstadt bestellt. Der Streit drehte sich um eine Rechnung für eine angeblich fehlerhafte Auflage von Hochzeitskarten. Der Kläger, Herr Gruber, war Bräutigam, und die Beklagte, Frau Mayer, war die Inhaberin einer kleinen Druckerei.
Schon beim Eintreten in den Saal merkte Karl, dass dieser Fall mehr zu bieten hatte als ein technisches Problem. Herr Gruber war ein nervöser Mittvierziger, der ständig auf seinem Handy herumtippte, während Frau Mayer mit verschränkten Armen und einem süffisanten Lächeln ihre Unterlagen durchblätterte. Beide schienen fest entschlossen, diesen Kampf zu gewinnen.
Der erste Schlagabtausch
Kaum hatte der Richter den Fall eröffnet, begann Herr Gruber mit seiner Beschwerde:
„Herr Richter, diese Druckerei hat meine Hochzeit ruiniert! Die Einladungskarten waren ein einziges Desaster. Statt ‚Anna und Paul‘ stand da ‚Anna und Raul‘. Die halbe Familie dachte, meine Frau hätte einen Liebhaber!“
Frau Mayer konterte prompt:
„Herr Richter, das ist völlig absurd. Wir haben die Druckvorlage so verwendet, wie sie uns Herr Gruber geschickt hat. Wenn jemand ‚Raul‘ eingegeben hat, dann war das sicher nicht meine Druckmaschine!“
Der Richter nickte ernst. „Das wird unser Sachverständiger klären.“
Karl spürte, wie alle Augen auf ihn gerichtet waren. Es war der Moment, in dem er immer ein wenig Showtalent zeigen musste. „Nun, Herr Richter“, begann er, „zunächst muss ich die Originalvorlagen und die Druckdaten prüfen. Es ist durchaus möglich, dass der Fehler bereits in der Vorlage vorlag.“
Herr Gruber wurde blass. „Ich habe die Vorlage selbst gestaltet“, gab er zu, „aber das Programm hat mir sicher irgendwas verschoben!“
Frau Mayer lachte kurz auf. „Ja, ja, immer sind es die Programme! Nie der Benutzer!“
Eine überraschende Wende
Die Spannung wuchs, als Karl die Hochzeitskarten und die Originaldateien näher betrachtete. Tatsächlich war „Raul“ bereits in der Vorlage enthalten. Doch Karl wollte noch tiefer graben. „Herr Gruber, könnten Sie mir bitte erklären, warum Sie in der Vorlage eine zusätzliche Fußnote mit dem Text ‚Danke an Raul für die tolle Unterstützung‘ eingefügt haben?“
Herr Gruber stammelte: „Äh … das war ein Freund, der bei der Planung geholfen hat … aber das sollte doch auf einer anderen Seite stehen!“
Der Richter hob eine Augenbraue. „Also handelt es sich um einen Bedienfehler?“
Herr Gruber war sichtlich verlegen. „Vielleicht … ein bisschen.“
Karl, der den Moment auflockern wollte, fügte mit einem schmunzelnden Blick hinzu: „Man könnte sagen, Raul war zumindest in den Karten präsenter als in der Realität.“
Das Gelächter im Saal ließ sogar den Richter kurz grinsen.
Der unsichtbare Zeuge
Doch die Sache war noch nicht zu Ende. Herr Gruber ließ sich nicht so leicht geschlagen geben. „Gut, vielleicht habe ich den Namen falsch eingetippt. Aber die Farben auf den Karten! Die sind völlig anders als in meiner Vorlage! Das Gold sieht aus wie Senfgelb!“
Frau Mayer verlor langsam die Geduld. „Das liegt daran, dass Sie billiges Papier gewählt haben, Herr Gruber. Ich habe Sie darauf hingewiesen, aber Sie wollten ja sparen!“
Karl warf einen prüfenden Blick auf die Karten und das Papier. Tatsächlich war das verwendete Material wenig geeignet für hochwertige Metallic-Effekte. Doch bevor er etwas sagen konnte, wurde die Tür zum Gerichtssaal plötzlich aufgerissen. Ein schlaksiger junger Mann in einem viel zu großen Anzug stürmte herein.
„Verzeihung, Herr Richter“, sagte der Neuankömmling, „ich bin Raul, der Freund von Herrn Gruber. Ich habe gerade erfahren, dass es hier um meinen Namen geht!“
Der Richter seufzte tief. „Das hier ist keine Comedyshow, junger Mann.“
Raul, unbeeindruckt, wandte sich an Karl. „Herr Sachverständiger, ich möchte anmerken, dass ich Herrn Gruber geholfen habe, die Farben auszuwählen. Und ich habe ihm ausdrücklich gesagt, er soll das bessere Papier nehmen. Aber er wollte nicht auf mich hören!“
Herr Gruber rief empört: „Raul, du bist mein Trauzeuge, kein Farbexperte!“
Frau Mayer konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. „Das erklärt einiges.“
Ein salomonisches Urteil
Nachdem sich die Gemüter ein wenig beruhigt hatten, fasste Karl seine Erkenntnisse zusammen. „Herr Richter, nach meiner Prüfung lässt sich Folgendes feststellen: Der Name ‚Raul‘ ist eindeutig auf einen Fehler des Klägers zurückzuführen. Die Farbprobleme resultieren aus der Papierwahl, über die die Beklagte den Kläger offenbar korrekt informiert hat.“
Der Richter nickte und richtete sich an Herrn Gruber. „Es scheint, dass Ihre Hochzeit eher durch Ihre eigenen Entscheidungen und weniger durch die Druckerei beeinträchtigt wurde. Ich empfehle Ihnen, diesen Streit in beiderseitigem Einvernehmen zu beenden.“
Herr Gruber seufzte. „Na gut, ich will mich nicht weiter blamieren.“
Frau Mayer zuckte die Schultern. „Ich bin einverstanden, wenn er die restliche Rechnung bezahlt.“
Der heitere Ausklang
Nach der Verhandlung trat Raul zu Karl und sagte schmunzelnd: „Herr Sachverständiger, das war beeindruckend. Vielleicht könnten Sie ja auch meine Bewerbung schreiben?“
Karl lächelte. „Ich bin zwar kein Bewerbungsexperte, aber eines kann ich Ihnen raten: Achten Sie immer auf das richtige Papier.“
Der Fall wurde geschlossen, und Karl kehrte an diesem Tag mit einem Lächeln nach Hause zurück. Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass der Alltag eines Gerichtssachverständigen nicht nur analytisches Geschick, sondern auch eine Portion Humor erfordert.
Alle Personen und Handlungen frei erfunden!
Zum Geleit:
Diese heitere Kurzgeschichte bietet einen humorvollen Einblick in den Alltag eines Gerichtssachverständigen. Mit charmanten Wendungen und skurrilen Charakteren zeigt sie, dass selbst technische Streitigkeiten vor Gericht viel Raum für Schmunzeln und Überraschungen bieten. Ein amüsanter Beitrag, der den oft als „trocken“ empfundenen Beruf von einer anderen Seite beleuchtet.